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Pressemitteilung

Internationales Team startet erneut geologische Bohrmission in der Westantarktis

Es ist eine ehrgeizige Forschungsmission am Rande des Westantarktischen Eisschildes: Erste Teammitglieder des Forschungsprojektes SWAIS2C sind erneut zu einer 1128 Kilometer langen Reise über das Eis aufgebrochen, um über Bohrungen in die Sedimente des Meeresbodens unter dem Eis geologische Erkenntnisse für die Vorhersage des künftigen Meeresspiegelanstiegs zu gewinnen. Ein Forscher aus Deutschland, der am LIAG-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG, Hannover) tätig ist, wird wieder vor Ort dabei sein. Weitere Projektbeteiligte aus Deutschland sind die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR, Hannover), das Alfred-Wegener-Institut (AWI, Bremerhaven) und die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU, Kiel).

Das Forschungs- und Bohrcamp KIS3. © Anthony Powell / Antarctica NZ.

Route von der neuseeländischen Antarktisstation Scott Base über das Ross-Schelfeis zum Camp. © Quantarctica Norwegian Polar Institute.

Aufbruch zum Camp mitten in das Eis. © Anthony Powell / Antarctica NZ.

Das Team vor dem ersten Kern mit einer Länge von 1,92 Metern aus der Saison 2023/2024. © Anthony Powell / Antarctica NZ.

Dr. Arne Ulfers im Bohrzelt vor den Bohrlochsonden. © Arne Ulfers / LIAG.

Highlights der Saison 2023/2024.

Der riesige Westantarktische Eisschild enthält genug Eis, um bei seinem vollständigen Abschmelzen den Meeresspiegel um 4-5 Meter anzuheben. Forschungen haben bereits ergeben, dass ein Zusammenbruch einiger Teile des Westantarktischen Eisschilds (WAIS) – wie zum Beispiel das Gebiet um den „Doomsday Glacier“ (Weltuntergangsgletscher, gemeint ist der Thwaites-Gletscher) in der Amundsen-See – aufgrund des warmen Wassers in seiner Nähe unvermeidlich sein könnte. Im Gegensatz dazu ist das Wasser unter dem großen Ross-Schelfeis, in das in dem Forschungsprojekt gebohrt werden soll, noch kalt. Das Ross-Schelfeis dient als stabilisierender Stützpfeiler für das Inlandeis anderer Gebiete des Westantarktischen Eisschildes.

Zusammenbruch des Eisschildes mit geologischen Daten ermitteln

Zu verstehen, bei welcher Temperatur ein unumkehrbares Schmelzen des Ross-Schelfeises und der darauffolgende Zusammenbruch des Westantarktischen Eisschilds ausgelöst werden, ist für die Menschheit von entscheidender Bedeutung. 680 Millionen Menschen auf der ganzen Welt leben in niedrig gelegenen Küstenregionen und sind den Gefahren und Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs ausgesetzt. Um der Herausforderung zu begegnen, haben sich daher Forschende undBohrspezialisten aus 13 Ländern im Rahmen des SWAIS2C-Projekts (Sensitivity of the West Antarctic Ice Sheet to 2°C of warming) zusammengeschlossen.

 

 „Der Westantarktische Eisschild ist eine der Komponenten des Erdsystems, die am stärksten von der zunehmenden Erwärmung betroffen sind. Wir wissen jedoch nicht, wann und wie schnell er schmelzen und den globalen Meeresspiegel um mehrere Meter anheben wird“, sagt Dr. Andreas Läufer, Geologe an der BGR, deutscher Koordinator und Mitglied des SWAIS 2C-Wissenschaftsteams.

SWAIS2C: Forschungsteam campt in der Antarktis

Für das Vorhaben wird das 27-köpfige „On-Ice“-Team in diesem antarktischen Sommer an der KIS3-Bohrstelle campieren und ein Loch von etwa 580 Metern durch das Schelfeis schmelzen. Zwischen Eis und Meeresboden ist der Ozean etwa 55 Meter tief. In den Meeresboden wird dann mit einem speziell entwickelten Bohrsystem gebohrt, um Sedimentkerne aus bis zu 200 Metern Tiefe zu gewinnen.

„Wir wollen in der kommenden Saison bis zu 200 Meter in das darunterliegende, höchstwahrscheinlich verfestigte Zielsediment eindringen. Wir hoffen, dass uns diese Sedimente in Zeiträume bringen werden, in denen der westantarktische Eisschild wärmeren und CO2-reicheren Bedingungen ausgesetzt war, die für die kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte prognostiziert sind“, erklärt Meeresgeologe Dr. Johann Klages vom AWI, deutscher Ko-Koordinator und Mitglied des SWAIS-2C-Wissenschaftsteams. „Damit können wir dann folgende Fragen beantworten: Wie stabil ist das westantarktische Eis unter diesen Bedingungen und können wir Kipppunkte identifizieren, ab denen der Eisschildrückzug nicht mehr aufhaltbar ist?“, ergänzt Mikropaläontologin Prof. Dr. Denise Kulhanek von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, eine der leitenden Wissenschaftlerinnen des SWAIS-2C-Projekts, die mit ihrer Forschung dazu beiträgt, die vergangenen Veränderungen der Ozeanbedingungen und der Ausdehnung des westantarktischen Eisschildes zu verstehen.

Ein deutscher Wissenschaftler vor Ort: LIAG setzt seine Bohrlochgeophysik ein

Um die damaligen Gegebenheiten lückenlos abbilden zu können, müssen anschließend im Bohrloch geophysikalische Messungen durchgeführt werden.

„Oft kommen Sedimentkerne verformt an die Oberfläche oder es fehlen Teile. Erst Messungen innerhalb des Bohrlochs tragen dazu bei, die Sedimente lückenlos über die gesamte Tiefe der Bohrung so zu erfassen, wie sie ursprünglich abgelagert wurden“, erklärt Dr. Arne Ulfers, Wissenschaftler am LIAG und Projektleiter für die Bohrlochgeophysik, der in diesem Jahr als einziger Forscher aus Deutschland in das Camp auf dem Eis fährt. „Mit der Auswertung der Bohrlochdaten und dem Abgleich mit den Sedimentkernen können wir ein umfassendes räumliches und zeitliches Bild der geologischen Prozesse und den damaligen Umweltbedingungen erhalten. Dadurch kann abgeleitet werden, ob die Sedimente womöglich in einer eisfreien Welt abgelagert wurden. Wir nutzen die Vergangenheit, um uns auf unsere Zukunft vorzubereiten.“

Erwartet wird, dass die Informationen Aufschluss über die Vergangenheit von vor bis zu Hunderttausende, möglicherweise sogar Millionen von Jahren geben werden. Sie würden damit die letzte Warmzeit vor 125.000 Jahren umfassen, als die Erde etwa 1,5 °C wärmer war als vorindustrielle Temperaturen - ähnlich den Temperaturen, denen sich die Erde in diesem Jahr aufgrund des vom Menschen verursachten Klimawandels nähert. Wenn die Forschenden zudem marine Algen finden, die auf ozeanische Bedingungen hindeuten, ist es wahrscheinlich, dass sich der Eisschild damals zurückgezogen hatte.

Das Forschungsteam hofft, dass die Ergebnisse dazu beitragen werden, Pläne zur Anpassung an den unvermeidlichen Anstieg des Meeresspiegels zu unterstützen und die Notwendigkeit zur Verringerung von globalen Treibhausgasemissionen verdeutlichen werden.

 

Hintergrundinformationen

Bei Bedarf der Presse können Footage-Material und Bilder geliefert oder vor Ort produziert werden. Bitte eine E-Mail an Greta Clasen, presse(at)leibniz-liag.de

Wissenschaftlicher Kontakt am LIAG
(in der Antarktis voraussichtlich vom 25.11.2024-17.01.2025)
Dr. Arne Ulfers
Bohrlochgeophysiker
Arne.Ulfers@liag-institut.de