Die Entwicklung des LIAG vom Königsteiner Abkommen 1948 bis heute
Die Geschichte des LIAG und seiner Vorgängerinstitutionen reicht 75 Jahre zurück: Der Zeitstrahl bietet einen kurzen Überblick über besondere Ereignisse und ausgewählte Highlights, die die strukturellen Veränderungen, aber auch besonders herausragende Forschungsentwicklungen und große Projekterfolge wiedergeben. Für die Vorgängereinrichtungen wird lediglich der Bereich Geophysik betrachtet.
In den „Höchster Vereinbarungen“ vom 1. Juni 1948 werden von den geologischen Landesämtern des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Aufgabengebiete definiert, die nur als „Gemeinschaftsaufgaben“ bearbeitet werden können. Zu diesen gehört die Geophysik. Dies ist der Anfang der „Geowissenschaftlichen Gemeinschaftsaufgaben“ (GGA), aus denen sich das LIAG Jahrzehnte später entwickelt.
Das „Königsteiner Staatsabkommen“ regelt ab dem 1. April 1949 die Finanzierung der GGA.
Formelle Errichtung des Amtes für Bodenforschung (AfB) in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die geologischen Landesämter des Vereinigten Wirtschaftsgebietes übertragen dem Amt die überregionalen Aufgaben (Gemeinschaftsaufgaben). Die Geophysik wird von der Landesstelle Niedersachsen wahrgenommen.
Erstmals beteiligt sich eine kleine deutsche Arbeitsgruppe unter Leitung des AfB an einem Explorationsprojekt für Temperaturmessungen in einer geothermischen Dampflagerstätte – verortet in Larderello (Toskana, Italien), wo seit 1904 das weltweit erste geothermische Kraftwerk steht.
Durch ein Verwaltungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Niedersachsen entsteht in Hannover die Bundesanstalt für Bodenforschung (BfB, zugehörig zum Bundesministerium für Wirtschaft, heutige BGR) im November 1958 aus dem Bestand des AfB in Hannover. Die GGA verbleiben jedoch im AfB.
Das AfB wird am 31. März 1959 aufgelöst und als Niedersächsisches Landesamt für Bodenforschung (NLfB) neu errichtet. Die GGA werden Bestandteil des NLfB.
Ab 1963 mietet das AfB erstmals die heutige LIAG-Außenstelle Grubenhagen, um die Liegenschaft unter anderem für geophysikalische Langzeitversuche zu nutzen. Seit dem Jahr 1968 befindet sich dort das Gesteinsmagnetiklabor des Instituts.
Aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgaben werden seit 1970 Forschungsbohrungen finanziert, die von einzelnen Bundesländern beantragt und durchgeführt werden können.
Die Erkundung neuer Energiequellen in Niedersachsen steht im Fokus: Ab 1973 startet hierzu, geleitet durch die GGA und unter Beteiligung der Erdölindustrie und der Hochschulen in Niedersachsen, das Projekt ENEN (Förderung durch das Land Niedersachsen).
Zum 1. Januar 1977 tritt die „Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung der Forschung nach Artikel 91b GG“ in Kraft. Die GGA werden als „Blaue Liste“-Einrichtung gefördert. Daueraufgaben sind weiterhin die klassischen Arbeitsgebiete Gravimetrie, Magnetik, Seismik, Geoelektrik und Geothermik.
Die GGA nehmen die Funktion der Projektleitung für den technischen Teil des im Aufbau befindlichen Kontinentalen Tiefbohrprogramms der Bundesrepublik Deutschland (KTB) wahr. Ab Januar 1986 übernimmt die Projektgruppe KTB am NLfB die Arbeiten zur Erstellung der Bohrungen.
Die erste Arbeitsphase des „Deutschen Kontinentalen Reflexionsseismischen Programms“ (DEKORP) beginnt parallel ab 1983 bis 1991. Dabei ist die GGA für Organisation und Durchführung der Arbeiten verantwortlich. Das damalige BMFT fördert das Projekt mit circa 59 Millionen DM unter Beteiligung der geologischen Dienste Deutschlands, Belgiens, Frankreichs und Tschechiens und vieler Einrichtungen in Deutschland.
Seit 1988 steht die Erarbeitung geothermischer Ressourcen im Fokus: Die GGA beziehungsweise das spätere GGA-Institut leitet zwei mit mehreren Millionen DM finanzierte Projekte und entwirft unter Beteiligung von 36 europäischen Ländern den Europa-Atlas der Geothermischen Ressourcen.
Prof. Dr. Albrecht Hahn, GGA-Leiter von 1971 bis 1989, erhält im Februar 1990 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für seine Verdienste zum Aufbau des KTB-Programms.
Zwischenzeitlich hat sich der Wissenschaftliche Beirat konstituiert und tagt erstmalig im März 1991.
Innerhalb der GGA und ihren beiden Unterabteilungen „Geophysik“ und „Geologie der Kohlenwasserstoffe, Geochemie“ macht die Geophysik mit 75 Prozent den größten Anteil aus und ist weiterhin in den Arbeitsgebieten Gravimetrie, Magnetik, Seismik, Geoelektrik und Geothermik tätig. Der Wissenschaftsrat kritisiert am 19. Januar 1996, dass die GGA keine selbstständige Forschungseinrichtung von überregionaler Bedeutung und gesamtstaatlichem wissenschaftlichen Interesse sei. Das leitet für die GGA Änderungsmaßnahmen zur administrativen und fachlichen Neuorientierung im Rahmen einer dreijährigen Übergangsphase ein. Im Februar 1998 veröffentlichten die GGA ein Konzept für eine Forschungseinrichtung auf Grundlage der Empfehlungen des Wissenschaftsrates: Dieses stützt sich ausschließlich auf den positiv evaluierten Arbeitsbereich Geophysik.
Im Dezember 1999 wird das Institut für Geowissenschaftliche Gemeinschaftsaufgaben (GGA-Institut) als eigenständige Forschungseinrichtung gegründet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung N 1 im NLfB, die überwiegend mit geophysikalischen Forschungsaufgaben beschäftigt sind, nehmen ab dem Folgejahr ihre Arbeit im neuen Institut auf.
Der Gründungsdirektor ist Prof. Dr. Hansjürgen Dürbaum.
Prof. Dr. Hans-Joachim Kümpel übernimmt ab Juli 2001 als Direktor die Leitung des Instituts.
Im Januar 2002 wird das aufgebaute Web-Portal FIS Geophysik in Betrieb genommen. Es dient der Speicherung und Bereitstellung von geophysikalischen Metadaten, Messungen und Auswertungen des LIAG und seiner Partnerorganisationen.
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal erzielt das LIAG durch die Entwicklung des „ELVIS“. Es ist die erste mobile Minivibratorquelle für hochauflösende oberflächennahe seismische Messungen. Das Patent meldet das Institut 2002 an.
Das LIAG ist im Rahmen der Erforschung von Grundwasser sehr aktiv. Es übernimmt im Jahr 2004 die Leitung des im Rahmen des Interreg North Sea Programme geförderten EU-Projektes „Ancient Groundwater Reservoirs in Buried Valleys“ (BurVal), um in sechs Pilotprojektgebieten Methoden für die Erkundung der strukturellen und hydrogeologischen Eigenschaften von verdeckten Rinnen unter dem Aspekt der Grundwasserversorgung aus größeren Tiefen zu entwickeln und zu testen.
Der Aufbau des für Deutschland einzigartigen Geothermischen Informationssystems (GeotIS) beginnt mit der Förderung durch das damalige BMU. Seitdem wird GeotIS in verschiedenen Projekten durch das LIAG mit einer Vielzahl an Partnerorganisationen kontinuierlich weiterentwickelt.
Das LIAG besteht die Evaluierung der Leibniz-Gemeinschaft Ende 2004 mit sehr gutem Erfolg.
Im Februar 2008 übernimmt Prof. Dr. Ugur Yaramanci die Institutsleitung.
Im Rahmen des für die Jahre 2008 bis 2010 bewilligten Leibniz-Pakts für Forschung und Innovation werden am GGA-Institut in Hannover neue Lumineszenz-Datierungstechniken zur Bestimmung des Ablagerungsalters von Küsten- und Flusssedimenten sowie Lössen entwickelt. Am LIAG entsteht das renommierte und in Deutschland größte Geochronologielabor zur Erforschung von Umwelt- und Klimaveränderungen in dynamischen Landschaftssystemen.
Umbenennung des GGA-Instituts in Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG) im Zuge der Mitgliedschaft in der Leibniz-Gemeinschaft ab Dezember 2008. Die BGR, das LBEG und das LIAG bilden zusammen das Geozentrum Hannover.
Das am LIAG entwickelte Salzwassermonitoringsystem SAMOS, welches als meterlange Elektrodenstrecke die gesamte Übergangszone von Salz- zu Süßwasser für Wasserversorger überwachen kann, wird erstmalig an zwei Orten auf Borkum eingebaut.
Prof. Dr. Hansjürgen Dürbaum, der die Organisation im Übergang von der GGA zum GGA-Institut leitete, erhält im Juni 2011 für seine Arbeit das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
Das LIAG besteht die Evaluierung im November 2011 mit Erfolg, jedoch sollten strukturelle Veränderungen im Sinne der Leibniz-Gemeinschaft vorgenommen werden. Gemeint war beispielsweise der Aufbau einer eigenen Verwaltung, deren Aufgaben das LBEG im Geozentrum Hannover bisher übernommen hatte.
Unter dem LIAG als Forschungsinstitut findet ein Paradigmenwechsel bei der Durchführung von Forschungsbohrungen statt. Diese greifen im Institut entwickelte Themen auf, werden federführend von LIAG-Mitarbeitenden koordiniert und durch drittmittelfinanzierte Projekte begleitet, so wie zum Beispiel die Bohrungen Heidelberger Becken, Gardinger Tertiärtrog und Rodderberg. Das Projekt Dolomitkluft beinhaltete mit 6022 Meter die bislang tiefste Geothermiebohrung. Eine Bohrung in Bad Frankenhausen unterstützt die Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit Subrosionsprozessen, die durch die erste institutseigene Nachwuchsgruppe und im BMBF-Projekt SIMULTAN umgesetzt wird.
Das LIAG tritt zudem zunehmend bei der Erstellung von Open-Source Software auf und erzielt damit in der wissenschaftlichen Gemeinschaft große Sichtbarkeit.
Der Senat der Leibniz-Gemeinschaft empfiehlt im März 2019 nach einer negativen Evaluation Ende 2018 das LIAG nicht weiter als Mitglied zu fördern. Die Mitgliedschaft endet.
Das LIAG und die Leibniz Universität Hannover berufen im April 2019 gemeinsam die Geophysiker Dr. Mike Müller-Petke und Dr. Gerald Gabriel. Mit den gemeinsamen Berufungen „Geoelektrik und Elektromagnetik“ sowie „Seismik und Potenzialverfahren“ vertiefen die beiden Institutionen ihre langjährige Kooperation.
Mehrere Publikationen werden unter Mitarbeit von Forschenden des LIAG in der renommierten Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht.
In einem Zukunftsworkshop wird im September 2020 die Schwerpunktforschung mit Expertinnen und Experten in der Wissenschaftscommunity diskutiert und daraufhin ein neues Forschungskonzept entwickelt.
Die drohnengestützte Geophysik steht immer mehr im Fokus, so dass das LIAG mit Drohnen-Messungen in vielen Projekten Befliegungen durchführt und die Methodenanwendung sowie die Auswertung durch eigene Software kontinuierlich verbessert.
Als neues Mitglied der Initiative Wissenschaft Hannover ist das LIAG mit den Lenkungskreisen der Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen unter der Schirmherrschaft der Landeshauptstadt Hannover vernetzt und unter anderem gemeinsamer Partner des Novembers der Wissenschaft in Hannover.
Das LIAG wirbt zwei Großprojekte mit einem Finanzvolumen von mehreren Millionen Euro ein und koordiniert die Konsortien: Sowohl das aus dem Interreg North Sea Region Programme geförderte EU-Projekt „Blue Transition“ als auch das vom BMWK geförderte nationale Forschungsvorhaben „WärmeGut“ bedienen die aktuellen Themen Grundwasser- und Bodenmanagement sowie die Energiewende im Klimawandel.
Prof. Dr. Martin Sauter übernimmt im Dezember 2022 die Institutsleitung.
LIAG feiert sein 75-jähriges Bestehen! Ein Meilenstein für die strategischen Ziele des LIAG: Eine eigene auf die Wissenschaft zugeschnittene Verwaltung, aufgebaut durch den administrativen Leiter Lars Naue im laufenden Wissenschaftsbetrieb, hat nun die Aufgaben vom LBEG übernommen.
Das LIAG und die Eberhard-Karls-Universität Tübingenberufen im August gemeinsam Dr. Sumiko Tsukamoto auf die Professur „Quartärgeochronologie“. Mit geophysikalischen Datierungsmethoden erforscht die Physikerin die zeitlichen Entwicklungen im Quartär.
Das vom LIAG neu erarbeitete Forschungs- und Strukturkonzept mit den drei Themenschwerpunkten „Grundwassersysteme“, „Geogefahren“ und „Georeservoire“ als Energiequelle und Energiespeicher“ wird vom Kuratorium offiziell am 9.11.2023 beschlossen. Die Jubiläumswoche im November der Wissenschaft rahmt mit Vorträgen und einer Ausstellung zur Angewandten Geophysik eine Festveranstaltung mit rund 130 Gästen ein.