Gab es vielleicht doch Paläoerdbeben entlang des östlichen Periadriatischen Verwerfungssystems (PAF)? Durch die Kombination von Datierungsverfahren, wie der optisch stimulierten Lumineszenz (OSL) und der Elektronenspinresonanz (ESR), können Geowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler den Forschungszeitraum erstmalig auf einen Großteil des Quartärs – und damit auf den jüngsten geologischen Zeitraum der Erdgeschichte von vor 2,4 Millionen Jahren bis heute – ausdehnen. Für diesen Zeitabschnitt liegen bisher kaum Informationen über vergangene Erdbeben vor. Die Forschung schließt damit eine entscheidende Zeitlücke über die Entstehungsgeschichte der Alpen zwischen den geologischen (vor mehr als 10 Millionen Jahren) und instrumentellen sowie historischen Aufzeichnungen (vor rund 1000 Jahren).
Um diese Zeitlücke zu schließen, sollen zahlreiche Proben entlang des östlichen PAF-Systems zwischen Südtirol, Osttirol, Kärnten und Slowenien im Gelände genommen und datiert werden. Dabei macht sich das Forschungsteam die Tatsache zunutze, dass die Intensität der OSL- und ESR-Signale in Quarz und Feldspat – zwei der häufigsten gesteinsbildenden Minerale – durch Reibungserwärmung während seismischer Ereignisse an Verwerfungen teilweise zurückgesetzt werden kann. Dadurch möchte das Forschungsteam den zeitlichen Ablauf früherer Erdbeben besser eingrenzen. Dieser neue Ansatz wird dazu beitragen herauszufinden, welche dieser Verwerfungen im gesamten Quartär seismisch aktiv waren. Auf diese Weise soll ein Verständnis über tektonische Bewegungen in der Übergangszone der Ost- und Südalpen während des gesamten Quartärs geschaffen und ein synthetisiertes, konzeptionelles Modell der Deformationsprozesse erstellt werden.
Tektonische Aktivität charakterisieren und Verständnis schaffen
„Die Auswertungen sollen erstmalig zeigen, welche Bruchsegmente des östlichen PAF-Systems seismotektonische Deformationen im gesamten Quartär aufwiesen“, erklärt Dr. Sumiko Tsukamoto, Wissenschaftlerin im LIAG. „Das übergreifende Ziel ist es, tektonische Aktivität zu charakterisieren und zu entschlüsseln, ob diese entlang einzelner Verwerfungsstränge oder in einer eher breiten Zone konzentriert sind.“
„Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir sowohl während der Probenahme im Gelände als auch bei der anschließenden Analyse der Proben im Labor akribisch genau vorgehen“, meint Prof. Dr. Kamil Ustaszewski, Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Die Probenahme erfordert präzise strukturgeologische Dokumentation der Lagerungsbedingungen und der Zusammensetzung der Gesteine. Diese Beobachtungen bilden die Voraussetzung für eine erfolgreiche Laboranalyse und die spätere Interpretation unserer Ergebnisse hinsichtlich plattentektonischer Vorgänge.“
Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Schwerpunkt-Programm „4D-MB - Gebirgsbildungsprozesse in 4 Dimensionen“ gefördert. Es ist Teil der Arbeitsgruppe (AG) C „Aktive Tektonik am Übergang Alpen-Dinariden“, die sich auf die einzige Region der Alpen konzentriert, die noch tektonisch aktiv ist. Das Schwerpunktprogramm ist ein zentraler Teil der internationalen AlpArray Mission, welche die Struktur der Europäischen Alpen von der Oberfläche bis in den Erdmantel abbilden möchte. Zwei weitere Projekte des LIAG werden ebenfalls in dem Schwerpunktprogramm gefördert: In einem werden vier weitere Hauptstörungen in den Alpen datiert, in dem anderen auf die Erstellung eines geologischen, makroskopischen Profils entlang der Neubohrungen am Brennerbasistunnel fokussiert.
Hintergrundinformationen
Über das LIAG
Das Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik mit Sitz in Hannover ist eine eigenständige, außeruniversitäre Forschungseinrichtung. Mit Methoden der Angewandten Geophysik werden zukunftsgerichtete Fragestellungen von gesellschaftlicher Bedeutung untersucht. Der Schwerpunkt der Forschungsarbeiten liegt in der Erkundung des nutzbaren Untergrundes sowie in der Entwicklung von Mess- und Auswerteverfahren. Das Institut blickt auf über 50 Jahre Erfahrung in der Geophysik-Forschung zurück. LIAG verfügt über ein weltweit führendes Geochronologie-Labor auf dem Gebiet der optisch stimulierten Lumineszenz- und Elektronenspinresonanzdatierung. www.leibniz-liag.de
Über die Friedrich-Schiller-Universität Jena
Die Friedrich-Schiller-Universität Jena ist eine traditionsreiche und forschungsstarke Universität im Zentrum Deutschlands. Als Volluniversität verfügt sie über ein breites Fächerspektrum. Ihre Spitzenforschung bündelt sie in den Profillinien Light – Life – Liberty. Sie ist eng vernetzt mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen, forschenden Unternehmen und namhaften Kultureinrichtungen. Mit rund 18.000 Studierenden und mehr als 8.600 Beschäftigten prägt die Universität maßgeblich den Charakter Jenas als weltoffene und zukunftsorientierte Stadt. Das Institut für Geowissenschaften vereint die drei Fachrichtungen Geologie, Geophysik und Mineralogie und kann ebenfalls auf eine jahrzehntelange Forschungstradition verweisen. Seit seiner Wiedergründung 1992 verzeichnet es ein konstantes Wachstum. www.uni-jena.de
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